In Zusammenarbeit mit Leoni Rolfes
Cladribin gilt als semi-selektive Immunrekonstitutionstherapie, die nach kurzer Behandlungsdauer eine langfristige Remission der hochaktiven schubförmigen Multiplen Sklerose (RMS) bewirken soll. Das Konzept von Immunrekonstitutionstherapien liegt darin, dass vorübergehenden Verringerung verschiedenen Leukozytenpopulationen von einer differenzierten Erholung dieser abgelöst wird, die eine Wiederherstellung der Immunfunktion und eine dauerhafte Wirksamkeit über die anfängliche Immunsuppression hinaus ermöglicht. In diesem Zusammenhang wurde in der vorliegenden Studie die Wirkung von Cladribin auf die Reduktion der Immunzellen und die Rekonstitution während der ersten zwei Jahre der Behandlung untersucht.
Insgesamt analysierten wir longitudinal und prospektiv 80 mit Cladribin behandelten RMS-Patienten, bei denen monatliche Laboruntersuchungen durchgeführt wurden. Die Laborergebnisse wurden zudem mit unerwünschten infektiösen Ereignissen (AE) und der klinischen oder paraklinischen Krankheitsaktivität korreliert.
Wir konnten zeigen, dass nach der Behandlung mit Cladribin selektive Veränderungen der Immunzellpopulationen auftraten, wobei die deutlichsten Auswirkungen im zweiten Behandlungsjahr beobachtet wurden. Insbesondere folgte auf einen raschen Rückgang der natürlichen Killerzellen eine starke Verringerung der B-Zellen, eine mäßige Wirkung auf CD4+ und CD8+ T-Zellen (-40 und -48 %). Trotz der deutlichen Auswirkung auf die B-Zellen blieben die Immunglobulinspiegel unbeeinflusst. Es gab keine oder nur minimale Auswirkungen auf Thrombozyten und angeborene Immunzellen. Die klinische und paraklinische Krankheitsaktivität stand in keinem Zusammenhang mit den beobachteten Immunveränderungen. Bezüglich laborchemischer Nebenwirkungen war Lymphopenie am häufigsten (86,3 % der Patienten; Lymphopenie Grad III-IV: 38,8 %). Die kumulative Inzidenz von Infektionen betrug 55 %, die meist leicht oder mittelschwer verliefen. Insgesamt traten 19 Herpesinfektionen bei 8 (10 %) Patienten auf und 94,7 % der Herpesinfektionen traten während einer Phase der Lymphopenie auf.
Zusammenfassend, sind diese real-world Daten zur Immunphänotypisierung vergleichbar mit denen die in zulassungsrelevanten klinischen Studien nachgewiesen wurden, und liefern weitere Hinweise dafür, dass Cladribin eine Form der Immunrekonstitutionstherapie darstellen kann. Was das Nebenwirkungsprofil von Cladribin betrifft, so traten jedoch häufiger schwere Lymphopenien auf, die möglicherweise zur Entwicklung von Herpesinfektionen beigetragen haben. Bemerkenswert ist zudem, dass die Lymphozytendynamik in der zweijährigen Nachbeobachtungszeit nicht mit klinischen und paraklinischen Messungen der Krankheitsaktivität korrelierte.
Quelle: Rolfes L, Pfeuffer S, Huntemann N, et al. Immunological consequences of cladribine treatment in multiple sclerosis: A real-world study Mult Scler Relat Disord. 2022