Ausgeprägte genetische Prädisposition in autoimmun-neurologischen Syndromen mit Autoantikörpern gegen die 65 kDa Isoform der Glutamatdecarboxylase  

In Zusammenarbeit mit Nico Melzer

Autoimmunneurologische Syndrome (AINS) mit Autoantikörpern gegen die 65 kDa Isoform der Glutamatdecarboxylase (GAD65) umfassen Patientinnen und Patienten mit limbischer Encephalitis mit Temporallappenanfällen oder Temporallappenepilepsie, Zerebellitis mit zerebellärer Ataxie sowie Stiff-Person-Syndrom und Überlappungsform dieser klinischen Phänotypen. Diese neurologischen Erkrankungen verlaufen stetig progredient, sind therapeutisch nur schwer zu beeinflussen und führen in der Regel zu einer dauerhaften Behinderung. Anti-GAD65-Autoantikörper finden sich zudem im autoimmunen Diabetes mellitus, der bekanntermaßen eine starke genetische Prädisposition aufweist, die vermittelt wird durch Assoziationen zu verschiedenen genomischen Regionen innerhalb und außerhalb des klassischen HLA-Locus. Aus diesem Grund führten wir eine genomweite Assoziationsstudie und eine Assoziationsanalyse der HLA-Region in einer großen deutschen Kohorte von 167 Patientinnen und Patienten mit anti-GAD65-AINS und über 1.000 populations-basierten Kontrollprobanden durch.

Die Patientinnen und Patienten wurden durch das deutsche Netzwerk für Erforschung der Autoimmunenzephalitis (https://generate-net.de/) mit einer Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (https://www.bmbf.de/bmbf/de/home/home_node.html) rekrutiert. Vorhersagen bezüglich genetisch bedingter Veränderungen des Expressionslevels verschiedener Proteine wurden basierend auf den GWAS-Daten angefertigt und im Liquorproteom einer unabhängigen Kohorte von anti-GAD65-AINS validiert. Wir fanden insgesamt 16 Genom-weit signifikant assoziierte Loci für die Suszeptibilität für eine Anti-GAD65-AINS. Die übergroße Mehrheit dieser Varianten in diesen Loci (>90%) liegen in nicht-kodierenden Regionen des Genoms. Dennoch sind von 40% dieser Varianten regulatorische Effekte auf das Proteinexpressionslevel von insgesamt 48 Genen in krankheitsrelevanten Zellen bzw. Geweben bekannt. Diese sind vor allem CD4+ T-Lymphozyten und der zerebrale Kortex. Eine Netzwerkanalyse implizierter protein-kodierender Gene suggerierte eine prominente Rolle der Proteinkinase C- und identifizierte zahlreiche relevante biologische Pfade, die an Immunreaktionen und neuralen Funktionen beteiligt sind. Die Analyse klassischer HLA-Allele und Haplo-Typen zeigte keine genomweit signifikanten Assoziationen. Die stärkste Assoziation fanden wir für den DQA1*03:01-DQB1*03:02-DRB1*04:01 HLA-Haplo-Typ und das DRB1*04:01-Allel. Das Liquorproteom zeigte schließlich tatsächlich differentielle Level von 5 Proteinen (HLA-A/B, C4A, ATG4D und NEO1), deren veränderte Expression aus dem GWAS-Daten vorhergesagt wurde. Insgesamt zeigte diese bisher größte Studie zur Genetik der anti-GAD65-AINS eine starke Prädisposition mit direkten Implikationen für die Funktion des Immunsystems und des zentralen Nervensystems, die vor allen Dingen vermittelt wird durch Regionen des Genoms außerhalb der klassischen HLA-Region. Die krankheitsrelevanten biologischen Pfade werden bei der Identifikation pharmakologischer Zielmoleküle zur Etablierung neuer Therapien hilfreich sein.

Quelle: Strippel C, Herrera-Rivero M, Wendorff M, et al. A genome-wide association study in autoimmune neurological syndromes with anti-GAD65 autoantibodies [published online ahead of print, 2022 Mar 28]. Brain. 2022;awac119. doi:10.1093/brain/awac119
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35348614/