In Zusammenarbeit mit M. Pawlitzki
Die Myasthenia gravis (MG) ist eine chronische, antikörpervermittelte Autoimmunerkrankung, die die synaptische Übertragung an der neuromuskulären Endplatte beeinträchtigt. Klinische Merkmal der Erkrankung ist vorallem die belastungsabhängige Muskelschwäche. Bei etwa 85% der Fälle werden Antikörper gegen den Acetylcholinrezeptor (AChR) nachgewiesen, andere Antikörper deutlich seltener. Die therapeutische Entscheidungsfindung und insbesondere das Krankheitsmonitoring stützt sich hauptsächlich auf die klinische Präsentation, die aufgrund von Faktoren wie der Tageszeit oder der Wirkung symptomatischer Medikamente wie Pyridostigmin Schwankungen unterliegen kann.
In der Vergangenheit wurde wiederholt untersucht, ob der Anti-AChR-Antikörper-Spiegel im Blut als potenzieller Biomarker den Krankheitsverlauf widerspiegeln könnte. Allerdings ist der prädiktive Wert der Anti-AChR-Antikörper umstritten, da die Studienlage diesbezüglich nicht konsistent ist. Vor dem Hintergrund des Zeitalters neuer, intensiver Immuntherapien, wächst die Nachfrage nach einem geeigneten Biomarker um entsprechend auch aktive Krankheitsverläufe früher zu erkennen. In der vorliegenden Studie wurde daher intensiv nach einem neuen Biomarker mittels massenspektrometriebasierter Analyse aus dem Serum gesucht.
Hierfür wurden Patienten wus zwei spezialisierten Zentren für MG (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Charité Berlin) rekrutiert. Von 365 behandelten Patienten stimmten 260 der Studienteilnahme zu, wobei 6 Patienten im Verlauf ausschieden. Die finale Kohorte umfasste 254 MG-Patienten, rekrutiert von Januar 2016 bis Januar 2022. Einschlusskriterium war die Erfüllung der nationalen Leitlinien zur MG-Diagnose. Zum Zeitpunkt der Serumprobenentnahme zeigten alle Patienten keine Infektionszeichen.
Alle Serumproben wurden gleichzeitig für die massenspektrometrische Analyse verarbeitet. Insgesamt wurden 21.161 Peptide identifiziert. Die Qualitätskontrollen zeigten eine normale Verteilung des Proteomdatensatzes ohne signifikante Ausreißer. Als eine Art Abweichung innerhalb der Proteinexpressionsanalyse zeigte sich vor allem eine Komplementaktivität. Im weiteren Schritt wurde die Assoziation zwischen klinischen Merkmalen und dem Proteinniveau untersucht. Mendoza et al. definierten Schwellenwerte für gängige MG-Gesundheitsbeurteilung, die einen patientenakzeptablen Symptomenstatus (PASS) widerspiegeln, d.h. Patienten in Remission oder minimalem Manifestationsstatus. Dementsprechend wurde in dieser Arbeit der vorgeschlagene Grenzwert für den QMG-Score von >7 für „PASS-negative“ Patienten, d.h. Patienten mit aktivem Krankheitszustand, die ihren Status als inakzeptabel betrachteten, ausgewählt. Dieser Grenzwert ermöglicht eine binäre Gruppierung der Patienten basierend auf einem klinisch relevanten Ergebnis.
Proteine, die mit dem Komplementsystem assoziiert sind, waren bei PASS-negativen Patienten dysreguliert. So war der Komplementkomponente C9 bei PASS-negativen Patienten erhöht, während die Werte des Komplementfaktors B (CFB) verringert waren. Zusätzlich war der Spiegel von ITIH3, das zur Familie der Inter-Alpha-Trypsin-Inhibitoren (IαI) gehört, bei PASS-negativen Patienten erhöht. IαIs enthalten mehrere Komplement-bindende Domänen, die die frühe Phase der Komplementaktivierung hemmen und somit komplementinduzierte Organschäden mildern.
Die Serumspiegel von ITIH3 korrelierten mit den Krankheitsaktivitätsscores dabei sowohl in der Explorations- als auch in der Validierungskohorte und wurden durch ELISA bestätigt. Eine Korrelation zwischen den Anti-AChR-Antikörperspiegeln der Patienten und den klinischen Scores lag nicht vor. In einer detaillierten Subgruppenanalyse zeigte sich, dass ITIH3 ein Indikator für das Ansprechen auf die Therapie war. In der weiteren Immunfärbung von Muskelproben dieser MG Patienten fiel darüber hinaus eine spezifische Lokalisierung von ITIH3 an den neuromuskulären Endplatten auf, während dies bei Kontrollproben nicht der Fall war.
Zusammenfassend liefert diese Studie die ersten Daten zu ITIH3 als potenziellem Biomarker für die Krankheitsaktivität bei MG. Histologische Analysen bieten eine pathophysiologische Grundlage, und die Validierung über verschiedene Kohorten und Techniken hinweg unterstützt die potenzielle klinische Anwendbarkeit der Ergebnisse. Die Identifizierung des ITIH3-Interaktoms ist ein erster Schritt zum Verständnis der zugrunde liegenden molekularen Mechanismen. Zukünftige Studien sind jedoch erforderlich, um ITIH3 zu validieren und die Übersetzung in die klinische Praxis zu erleichtern.