In Zusammenarbeit mit Marc Pawlitzki
Die medizinische Versorgung von Myositiden ist aufgrund der Seltenheit und Heterogenität weiterhin mit großen Herausforderungen verknüpft. Insbesondere die Diagnosestellung verzögert sich oft über Jahre nach Erstmanifestation und benötigt meist umfangreiche Untersuchungen einschließlich Elektrophysiologie, Antikörperdiagnostik, Kernspintomographie und Muskelbiopsie. Erschwerend kommt hinzu, dass trotz der entsprechenden Diagnostik keine einheitlichen Diagnosekriterien im klinischen Alltag angewendet werden, sodass systematische Analysen oft nur eine geringe Fallzahl an Patienten umfassen
Hinsichtlich der medikamentösen Therapie gibt es trotz entsprechender Empfehlungen meist kein standardisiertes Vorgehen, da entsprechende Daten über Wirksamkeit und Sicherheit der klassischen Immunsuppressiva meist auf retrospektiven Studienergebnissen beruhen. Dabei werden zunehmend auch verschiedene Biologika als individuelle Heilversuche wegen fehlender randomisierter Studien verordnet (6). Aufgrund der potentiellen Affektion mehrerer Organsysteme werden die Patienten darüber hinaus zusätzlich durch eine Vielzahl von medizinischen Fachrichtungen betreut, sodass standardisierte Abläufe meist nur in Kooperationsnetzwerken bzw. interdisziplinären Fallkonferenzen etabliert werden können.
Um zukünftig den Versorgungsbedarf ausreichend abzudecken und ein einheitliches diagnostisches und therapeutisches Vorgehen zu etablieren, ist die Erhebung demographischer, klinischer und therapeutischer Entwicklungen in einem entsprechend großen Patientenkollektiv notwendig. Bisher existieren jedoch nur wenige Fallserien und Registerdaten, die Einblicke in die Versorgungstruktur für Myositiden in Deutschland liefern. Meist handelt es sich dabei um Analysen von Patienten, die in entsprechenden Schwerpunktzentren oder Praxen behandelt werden. Bundesweite Daten aus der Routineversorgung fehlen bislang.
Ziel der aktuellen Studie war es daher einen Überblick über die reale Versorgungssituation in Deutschland mithilfe von Versichertendaten der BARMER Ersatzkrankenkasse zu liefern und epidemiologische Entwicklungen der letzten Jahre abzubilden, die letztlich Grundlage zukünftiger diagnostischer und therapeutischer Fragestellungen sein können. Die Krankenversicherungsdaten der BARMER, der zweitgrößten Krankenkasse in Deutschland, umfassen dabei die ambulante und stationäre medizinische Versorgung von derzeit bis zu 8,7 Millionen Versicherten (10,5% der deutschen Bevölkerung) mit mehr als 154 Millionen Versichertenjahren zwischen dem 1. Januar 2005 und 31. Dezember 2019. Durch diese Kohorte ist es möglich, Vergleichsanalysen zwischen Myositis-Patienten und einer altersangepassten Vergleichsgruppe aus der sonstigen Versichertenpopulationen zu realisieren. Ebenso sind auch alters- und geschlechtsstandardisierte Hochrechnungen auf die deutsche Gesamtbevölkerung anhand der Erhebungen des statistischen Bundesamtes möglich.
45.800 BARMER-Versicherte erhielten im Beobachtungszeitraum die Diagnose einer Myositis, wobei die Prävalenzen über die Jahre relativ stabil waren. Die ausgewerteten Daten weisen auf eine höhere Prävalenz der Myositiden hin als dies bisher angenommen wurde. Hinsichtlich der Komorbiditäten fiel eine deutlich höhere Rate an kardiovaskulären Erkrankungen sowie auch an Neoplasien im Vergleich zur sonstigen Versichertenpopulation auf. Darüber hinaus leiden Myositis-Patienten häufiger an psychiatrischen Erkrankungen, wie Depressionen und somatoformen Störungen. Vor dem Hintergrund der dadurch zusätzlich deutlich eingeschränkten Lebensqualität der Patienten, verdeutlichen unsere Daten die Notwendigkeit der vermehrten Beachtung solcher Komorbiditäten im klinischen Alltag. Darüber hinaus wird bei mehr als jedem 4. Myositis-Patienten die Diagnose einer somatoformen Störung kodiert. Auch dies verdeutlicht erstmals die hohe Inzidenz einer solchen Komorbidität bei den Betroffenen.
Zusammenfassend verdeutlichen die aktuellen Ergebnisse eine wachsende Prävalenz von Myositiden und deren Komplexität im Hinblick auf die genannten Komorbiditäten, insbesondere Neoplasien und psychiatrische Erkrankungen. Einschränkend muss erwähnt werden, dass aufgrund der ICD-10-Codes keine noch spezifischeren Analysen von Subtypen, wie dem Anti-Synthetase Syndrom oder der Einschlusskörpermyositis, erfolgen konnten. Letztere sollte nach Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie als G72.4 kodiert werden. Die seit Anfang des Jahres geltende ICD-11-Kodierung erlaubt dahingehend zumindest die spezifische Kodierung der Einschlusskörpermyositis und eine entsprechende weitere Aufschlüsselung der Dermatomyositis in eine juvenile und adulte Form. Neben der unspezifischen und lückenhaften ICD-10-Kodierung sollte jedoch ergänzend erwähnt werden, dass die Vielzahl an unterschiedlichen Diagnosekriterien für Myositissyndrome ein einheitliches Kodieren im klinischen Alltag erschwert.