Updated Multiple Sclerosis Incidence, 2015-2022

In Zusammenarbeit mit Marc Pawlitzki

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische neurologische Erkrankung, die weltweit immer häufiger auftritt. Aktuelle Zahlen zeigen, dass im Jahr 2020 etwa 2,8 Millionen Menschen mit MS lebten – das sind 30 % mehr als noch im Jahr 2013. Dieser Anstieg wirft wichtige Fragen auf: Warum erkranken immer mehr Menschen an MS? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle, und hat sich die Verteilung der Erkrankungen zwischen Männern und Frauen verändert? Während es mittlerweile viele Daten zur Gesamtzahl der MS-Betroffenen gibt, ist die Inzidenz, also die Häufigkeit neuer MS-Fälle pro Jahr, weniger gut erforscht.

Was wir wissen, ist, dass Frauen etwa doppelt so häufig an MS erkranken wie Männer. Doch ob sich dieses Geschlechterverhältnis im Laufe der Zeit verändert hat, ist unklar. Um besser zu verstehen, wie sich die MS-Risiken im Laufe der Jahre entwickelt haben, nutzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunehmend bevölkerungsbasierte Studien. Diese Studien greifen auf große, regelmäßig gesammelte Gesundheitsdaten zu, um Rückschlüsse auf Krankheitsrisiken in großen Bevölkerungsteilen zu ziehen.

Das Ziel der hier vorgestellten Untersuchung war es, ein dringend benötigtes Update zur MS-Inzidenz und zur Verteilung der Geschlechter bei Neuinfektionen in einem universellen Gesundheitssystem – in diesem Fall der Bundesrepublik Deutschland – zu liefern. Dabei wurden Gesundheitsdaten von 2013 bis 2023 herangezogen, um Trends in der MS-Inzidenz zu bewerten.

Die Methode hinter der Studie

Um zuverlässige und aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen, wurden pseudonymisierte Daten aus bundesweiten Abrechnungen ambulanter Behandlungen, die gemäß §295 des Sozialgesetzbuches (SGB-V) erfasst. Diese Daten decken rund 87 % der deutschen Bevölkerung im Jahr 2021 ab und geben Auskunft über Diagnosen und Behandlungsverläufe von Personen, die in Deutschland leben und bei einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert sind. Über den Zeitraum von 2015 bis 2022 wurden MS-Fälle in diesen Daten gesucht, wobei bestimmte Kriterien erfüllt sein mussten: Betroffene mussten mindestens vier Jahre lang in den Abrechnungsdaten erfasst sein und mindestens eine ärztliche Diagnose gemäß der internationalen Klassifikation ICD-10 für MS (Code G35) erhalten haben.

Die Definition eines „MS-Falls“ erfolgte streng: Die Diagnose musste von einem Arzt mindestens drei Mal innerhalb von vier aufeinanderfolgenden Quartalen gestellt worden sein. Dies stellte sicher, dass nur gesicherte MS-Fälle in die Berechnungen der Inzidenz einflossen. Zusätzlich wurden nur Personen berücksichtigt, die in den drei Jahren vor ihrer MS-Diagnose keine anderen demyelinisierenden Erkrankungen (Erkrankungen des Nervensystems) aufwiesen.

Die Ergebnisse

Zwischen den Jahren 2015 und 2022 zeigte sich, dass die Zahl der neu diagnostizierten MS-Fälle jährlich zwischen 9.507 (im Jahr 2019) und 10.633 (im Jahr 2021) schwankte. Frauen machten in diesem Zeitraum konstant etwa 68 % bis 71 % der MS-Fälle aus, was bestätigt, dass Frauen nach wie vor deutlich häufiger betroffen sind als Männer. Das höchste Risiko, an MS zu erkranken, zeigte sich bei jungen Erwachsenen im Alter von 25 bis 34 Jahren.

Insgesamt blieb die MS-Inzidenz in Deutschland über den Untersuchungszeitraum relativ stabil, trotz aktualisierter Diagnosekriterien, die die Erkennung der Krankheit verbessert haben. Die Inzidenzrate, also die Anzahl neuer MS-Fälle pro 100.000 Menschen, lag im Durchschnitt bei etwa 15,6 bis 17,4 Fällen.

Was bedeuten diese Ergebnisse?

Diese Ergebnisse sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Erstens bestätigen sie, dass MS in Deutschland nach wie vor eine erhebliche Krankheitslast darstellt. Die stabile Inzidenzrate, kombiniert mit der steigenden Prävalenz – also der Gesamtzahl an Betroffenen – zeigt, dass immer mehr Menschen länger mit MS leben. Dies könnte darauf hindeuten, dass sich die Lebenserwartung von MS-Patienten verbessert hat oder dass die Krankheit in früheren Stadien erkannt wird.

Zweitens bleibt das Geschlechterverhältnis von etwa zwei zu eins zwischen Frauen und Männern stabil. Warum Frauen so viel häufiger betroffen sind, ist nach wie vor nicht vollständig geklärt. Hormonelle Einflüsse, genetische Faktoren oder Umweltbedingungen könnten hier eine Rolle spielen. Diese Konstante im Geschlechterverhältnis unterstreicht jedoch die Notwendigkeit, in der Forschung weiterhin geschlechterspezifische Unterschiede zu untersuchen, um die Ursachen besser zu verstehen.

Was kommt als Nächstes?

Die Ergebnisse dieser Studie sollten in der Gesundheitsplanung berücksichtigt werden, insbesondere da die Zahl der MS-Betroffenen weiterhin steigt. MS ist eine chronische Krankheit, die nicht nur das Leben der Betroffenen, sondern auch das Gesundheitssystem erheblich belastet. Eine stabile Inzidenz bedeutet, dass die Zahl der Patienten, die über längere Zeiträume hinweg medizinische Betreuung benötigen, weiter zunimmt. Dies erfordert eine langfristige Planung und gezielte Ressourcenallokation im Gesundheitssystem.

Zudem sollten weitere Studien durchgeführt werden, um regionale Unterschiede, Umweltfaktoren und genetische Prädispositionen besser zu verstehen. Je mehr wir über die Ursachen und Risikofaktoren von MS erfahren, desto besser können wir Präventionsstrategien entwickeln und die Versorgung von MS-Patienten optimieren.

Fazit

Die Multiple Sklerose bleibt eine komplexe und herausfordernde Krankheit, deren Inzidenz sich in Deutschland in den letzten Jahren stabil gehalten hat. Frauen sind nach wie vor häufiger betroffen als Männer, und die meisten neuen Fälle treten bei jungen Erwachsenen auf. Die Herausforderung für das Gesundheitssystem wird in den kommenden Jahren darin bestehen, sich auf die wachsende Zahl an MS-Patienten einzustellen und gleichzeitig neue Erkenntnisse zur Prävention und Behandlung der Krankheit zu gewinnen. Die hier vorgestellten Daten sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der MS-Epidemiologie und ihrer Auswirkungen auf die Gesellschaft

Quelle: Graf, J., Akmatov, M. K., Meuth, S. G., Tremlett, H., & Holstiege, J. (2024). Updated Multiple Sclerosis Incidence, 2015-2022. JAMA neurology, e242876. Advance online publication. https://doi.org/10.1001/jamaneurol.2024.2876